
MINI.STADT
Inhalt
Städtli Aussensicht: Eric Honegger - Es braucht Menschen, die Idee und den Ort
Die Genossenschaft Stadtufer will das ehemalige Fabrikareal neben der Stadtbrücke umnutzen. Das leere Fabrikareal an der Thur ist typisch für den Rückgang der Toggenburger Textilindustrie. Mit dem Strukturwandel sind attraktive Umnutzungsmöglichkeiten mit viel Potential für innovative Köpfe entstanden. Das Projekt Areal Stadtufer verbindet die Interessen aus Stadt und Land. Seit Juni 2021 vermietet die Genossenschaft Räume an Gewerbe, Projekte und Kunstschaffende in einer Zwischennutzung und organisiert den Liegenschaftskauf. Schon heute konnten die Genossenschaft Stiftungen wie die Stiftung Edith Maryon, Privatpersonen, Firmen, Organisationen aus Lichtensteig, dem Toggenburg und der ganzen Schweiz zur Sicherung des Grundstücks im Baurecht für eine soziale Wohn- und Arbeitsstätte überzeugen. Die Verwaltung der Genossenschaft teilt sich das Präsidium, organisiert sich in Arbeitsgruppen und ist ehrenamtlich tätig. Die Gründer*innen der Genossenschaft wollen mit partizipativen Planungsmethoden das Areal zu einem zukunftsweisenden Ort der Begegnung entwickeln. Es soll sektorenübergreifend unterstützt werden: Aus der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft und dem öffentlichen Sektor: Gemeinde Lichtensteig, Standortförderung Kanton St.Gallen, Klangwelt Toggenburg, Rathaus für Kultur, Stiftung Edith Maryon, Baubüro in situ, Ort für Macher*innen, Private, Firmen und durch die Genossenschafter*innen.
Susanne Sugimoto: Wie sind Sie auf Lichtensteig gestossen, zum Städtli gekommen? Zu genau diesem Projekt «Stadtufer», zu dieser ehemaligen Fabrik?
Eric Honegger: Zwei Wege haben mich nach Lichtensteig gebracht. Der eine war über den Stadtpräsidenten Mathias Müller, der sehr genau beobachtet, was in der Welt passiert. Ein Berater hatte ihn auf denkstatt sàrl aufmerksam gemacht. Nach einem ersten Treffen hatte ich den Eindruck, dass in der Gemeinde sehr viel getan wird und ich war beeindruckt wie weit fortgeschritten der Gedanke der Partizipation in der Bevölkerung schon war.
Zur gleichen Zeit war ich im Verwaltungsrat einer Immobiliengesellschaft, welcher die ehemalige Fein-Elast-Fabrik zum Kauf angeboten wurde. Das war der zweite Zugang. Kommt ein Projekt von zwei Seiten auf einen zu, sollte man genau hinsehen. Das habe ich getan. Und ich kam zur Ansicht: Obwohl Lichtensteig eine kleine Gemeinde ist und der Radius dadurch begrenzt ist, kann man mit dieser Fabrik einiges Gesellschaftliches bewirken.
Was hat Ihr Interesse geweckt?
Das Städtli Lichtensteig möchte sich für alle Gesellschaftsgruppen öffnen und alle teilhaben lassen. Dieser Ansatz hat Potential, denn er will allen Einwohner*innen einen Mehrwert bieten. Bei denkstatt sàrl haben wir bereits Projekte durchgeführt, bei welchen die Stadt-Land-Problematik eine Rolle spielt. Und in Lichtensteig gibt es mit Mathias Müller jemanden, der genau diese Thematik in die Hand nimmt.
Was hat Sie gereizt mitzudenken?
Mit denkstatt sàrl können wir das Umnutzungsprojekt mit der Erfahrung aus anderen Projekten unterstützen und begleiten. Die Anfrage mitzudenken, was das Potential dieser Fabrik sein könnte, hat uns gereizt. Die Thematik Stadt-Land-Graben haben wir schon länger auf dem Radar. Und wir haben auch schon erlebt, dass solche Projekte scheitern. Und in Lichtensteig gibt es nun ein Projekt mit sehr grossem Potential.
Weshalb die Stadt-Land-Frage?
Die nächste Generation sollte einen Ort haben, wo sie ihre Lebensziele oder Lebensträume verwirklichen kann. In ländlichen Gemeinden sind die Häuser häufig bereits genutzt. In der Regel leben oder arbeiten in diesen die Menschen, die bereits dort aufgewachsen sind. Will ein junger Mensch mit 30 Jahren ein Geschäft starten, gibt oft keine Andockstelle. Wenn er anders als die Eltern leben möchte, wo soll er das tun. Wo kann er Partys veranstalten? Fühlen sich junge Menschen wohl und können sie sich vorstellen, in den nächsten 30 Jahren in diesem Dorf zu leben? Es ist eine Frage der Perspektive. Kann ich hier, an diesem Ort, meine Lebensträume verwirklichen? Gibt es einen Ort, wo das denkbar wäre? Dabei geht es nicht um Arbeitsplätze im klassischen Sinn, sondern darum, eine Lebens- oder Wohnatmosphäre zu schaffen, wo ich mir vorstellen kann zu bleiben. Und in Lichtensteig ist das mit der Genossenschaft Stadtufer gegeben.
Und worauf kommt es nun an?
Die letzten 20 Jahre haben gezeigt, dass es drei wichtige Punkte gibt, für das Gelingen eines Projekts. Es braucht Menschen, die ihre Idee umsetzen können. Es muss glaubhaft sein, dass jene, die das machen wollen, es können, es wollen und dass sie sich dafür einsetzen. Und dann braucht es einen Ort, wo man die Idee umsetzen kann. Es braucht also die Idee, die Menschen und den Ort. Diese drei Faktoren müssen untereinander stimmen. Und genau das ist beim Stadtufer-Projekt der Fall. Es gibt Leute aus Lichtensteig und solche von ausserhalb. Sie haben sich gefunden und sie sind eine Einheit geworden. Der Ort hat ein grossen Potential und er ist stimmig mit der Idee, die das Team realisieren will.
Und das Geld?
Unsere Aufgabe ist es, darauf zu achten, dass diese drei Dinge miteinander einhergehen. Wenn eine der Komponenten nicht stimmt, kommt das Projekt nicht zu fliegen und man findet in der Regel keine Investor*innen. Ist die Idee dagegen realistisch und das Projekt stimmig, findet man das Geld.
Wo steht das Projekt Stadtufer heute?
Land und Fabrik sind soweit gesichert. Die Sicherung des Bodens und des Gebäudes ist einer der wichtigsten Meilensteine eines Umnutzungsprojektes. Das gibt eine gewisse Unabhängigkeit, Vertrauen und die Perspektive, dass man nicht mehr von einem Grundeigentümer abhängig ist, der plötzlich seine Pläne ändern könnte.
Welches sind nun die nächsten Meilensteine für das Gelingen des Projektes?
Lichtensteig ist ein Ort, der in Bewegung ist. Wichtig scheint mir für weitere Projekte der gegenseitige Austausch. Kopieren von anderen Projekten ist keine gute Idee, denn jedes Projekt hat eine eigene Dynamik. Aber es gibt immer wieder ähnliche Prozesse, und dort sollte man genau hinsehen und sie verstehen. Das heisst, aus welchen Fehlern kann man lernen, was ist ortsspezifisch und welche Prozessen kann man aus anderen Projekten mitnehmen.
Was kann die Gemeinde tun?
Der Gemeinde Lichtensteig möchte ich «ein Chränzli winden». Sie hat für das Projekt Geld gesprochen. Das gibt Vertrauen für weitere Investor*innen. In einer Stadt wäre der Kauf eines solchen Areals eventuell einfacher. Denn in einer ländlichen Gemeinde braucht es Überzeugungskraft, weil die Investor*innen nicht unbedingt in Lichtensteig sind, sondern in St.Gallen, in Zürich oder Basel. Die Distanz ist gross und man kennt diese Menschen nicht persönlich. Dass Lichtensteig Geld gesprochen hat, ist toll, denn meiner Ansicht nach investiert sie damit in die Zukunft der Gemeinde. Es geht darum, dass die Jungen Möglichkeiten und Perspektiven haben und in Lichtensteig bleiben. Es ist neben Arbeitsplatz und Wohnung auch Raum zur Realisation ihrer Träume. Und um das geht es.